Markus Thielemann: Von Norden rollt ein Donner

«Ihm kommt ein absurder Gedanke:
Vielleicht ist es das Land, das ihm etwas sagen will,
das ihm etwas antun will, vielleicht ist es die Heide.»

Täglich treiben der 19-jährige Jannes und seine Familie die Schafe über die Flächen der Lüneburger Heide. Doch es herrscht eine gärende Unruhe in der Gegend, der Wolf ist zurück. Es mehren sich Schafsrisse und mit ihnen Konflikte im Dorf, die schnell politisch werden.

Kann Heimatschutz Gewalt rechtfertigen? Während sich die Situation zuspitzt und in Selbstjustiz der Bevölkerung zu eskalieren droht, flüchtet Jannes zu seinen Schafen in die Heide. Bis er dort immer wieder auf eine merkwürdige Frau trifft. Er beginnt, ihr zu folgen, und kommt Schritt für Schritt hinter die Geheimnisse dieser vermeintlichen Sehnsuchtslandschaft, stößt auf Brutalität, völkische Ideologie - und auf ein tiefes Schweigen. Markus Thielemann begibt sich mit seinem fesselnden Anti-Heimatroman tief hinein in die Abgründe eines «urdeutschen» Idylls.


287 Seiten, mit einer Karte - Leseprobe (PDF)

Ein Gruß vom Autor und der Roman in einem Satz.

Interview mit Markus Thielemann

  1. „Von Norden rollt ein Donner“ heißt Ihr Roman – worum geht es darin und was verbirgt sich hinter diesem geheimnisvollen Titel?

Mein Roman erzählt von Jannes Kohlmeyer, einem jungen Schäfer in der Südheide, irgendwo zwischen Unterlüß und Faßberg. Es ist Ende 2014 und seine Familie steht vor einem Problem: Der Wolf kehrt nach über einem Jahrhundert in die Region zurück und bedroht ihre Herde. In unmittelbarer Nähe der Heideflächen, die sie pflegen, liegen große Truppenübungsplätze und Waffenerprobungsgelände. Auf diesen menschenleeren Flächen können sich die Wölfe ungestört ausbreiten. Von dort rollt auch täglich der Donner der Detonationen.

 

  1. Sie schreiben in dem Roman von der Lüneburger Heide als einem „von Wanderwegen zerschnittenen Land“. Inwiefern ist die Heide auch abseits der Wanderwege eine zerklüftete, teils widersprüchliche Gegend?

Es ist eine historisch unfruchtbare und dadurch dünn besiedelte Kulturlandschaft, die durch Jahrzehnte der Übernutzung entstanden ist und die wir mit einem bestimmten Erscheinungsbild verbinden: baumlose Weiten und blühendes Heidekraut, vielleicht ein einzelnes Bauernhaus in der Ferne. Die Region vermarktet sich touristisch mit solchen Bildern, die wir heute als idyllisch verstehen.

Gemessen an der Gesamtfläche der Region machen solche geschützten Heiden nur einen kleinen Teil aus. Als 1910 der erste Naturpark in der Lüneburger Heide gegründet wurde (übrigens der erste seiner Art in Deutschland), waren ein paar Kilometer südlich schon weit größere Areale vom Militär und der Rüstungsindustrie gekauft worden. Idylle und Gewalt haben in der Region also schon sehr lange nebeneinander existiert. Über diesen Widerspruch wollte ich schreiben.

 

  1. Ihr Roman kreuzt immer wieder historisch belastete Orte in der Heide wie eines der Außenlager des ehemaligen KZ Bergen-Belsen, Tannenberg bei Unterlüß. Wieso war es für Sie wichtig, davon zu erzählen?

Der Standort des Tannenberglagers in einem Waldstück außerhalb von Unterlüß wurde erst 2018 durch einen ehrenamtlichen Heimatforscher identifiziert. Weder die Gemeinde Unterlüß noch die Firma Rheinmetall hatten in den Jahrzehnten davor in irgendeiner Art Bemühungen gezeigt, herauszufinden, wo sich dieser schreckliche Ort befunden hatte. Als ich im Zuge der Recherchen für den Roman davon erfuhr, stand schon fest, wo und wann mein Roman spielen würde. Dass es genau auf diesen, zum Zeitpunkt der Handlung noch “namenlosen” Flächen nahe Unterlüß war, war für mich erschreckend. Wie nah doch alles beieinander ist, räumlich und zeitlich. Vor Ort weist bis heute nichts darauf hin, dass dort im Wald einmal ein KZ-Außenlager war. Die Fundamente sind zugewachsen, aber ein Wanderweg führt direkt daran vorbei. Ich finde diese Geschichte gleichzeitig skandalös und bezeichnend.

 

  1. Sie zitieren in Ihrem Roman einen Brief der ehemaligen Lagerinsassin Edith Balas, den sie 2013 an die Gemeinde Unterlüß geschrieben hat. Was hat es damit auf sich?

Edith Balas ist eine Professorin für Kunstgeschichte, die heute in den USA lebt. Als ungarische Jüdin wurde sie erst nach Auschwitz und von dort nach Unterlüß ins Tannenberglager deportiert, wo sie für die Munitionsfabrik von Rheinmetall-Borsing Zwangsarbeit verrichten musste. Sie hat den Holocaust mit viel Glück überlebt. Den Brief schrieb sie 2013 im Zuge der Veröffentlichung ihrer Memoiren in Deutschland. Er führte zu nichts; keine Antwort der Gemeinde, keine Antwort von Rheinmetall. Kein Anstoß zu Recherchen, keine Erinnerungsarbeit, keine Aufklärung, bis eben 2018. Sie beschreibt in ihrem Brief die grauenhaften Zustände und auch, wie das Lager im Frühjahr ‘45 nach der Flucht der SS-Wachmannschaft von Zivilisten aus Unterlüß geräumt wurde, und man Balas und die anderen Gefangenen statt sie zu befreien kurz vor Ende des Krieges doch noch nach Bergen-Belsen schaffte. Die Cellesche Zeitung titelte in der einzigen Reaktion, die ich auf den Brief finden konnte, mit den versöhnlichen Worten, die Balas an das Ende ihres Briefes setzte: “Edith Balas hegt keinen Groll.”

 

  1. Wie hängen für Sie die historischen Themen um das Lager mit den hochaktuellen Themen Ihres Romans wie der Wolfspolitik oder den völkischen Siedlern in der Lüneburger Heide zusammen?

Ich glaube, es wäre vermessen, hier kausale Zusammenhänge zu ziehen. Doch es hat in Deutschland eine traurige Tradition, eine bestimmte Idee von Heimat als Rechtfertigung für Gewalt zu benutzen. Die Heide wird seit Jahren als eine ursprüngliche, deutsche Heimat präsentiert. Der Wolf dagegen ist seit jeher der diese Idylle bedrohende Feind, vor dem man sich schützen muss und der vernichtet gehört. So wurde die Wolfsangel, eine mittelalterliche Falle, zum Symbol für Heimat und Heimatschutz. Der antisemitische, antiziganistische, chauvinistische Heidedichter Hermann Löns hat es im späten 19. Jahrhundert etabliert, die Nazis haben es verwendet, die rechtsextreme Asow-Brigade verwendet es, in Deutschland gilt es seit ‘45 als verfassungsfeindliches Symbol. Auf deutschen Ortswappen ist es aber aus historischen Gründen erlaubt und sehr häufig zu finden, vor allem in Niedersachsen. Unter Neurechten ist es sehr beliebt, auch bei den völkischen Siedlern, die sich im Zweifel gern auf die Historie der Region beziehen.

Ob nun diese ideelle Gemengelage oder die dünne Besiedlung zu dem verhältnismäßig starken Zuzug in die Region führt, weiß ich nicht. Aber es passt erschreckend gut zusammen. In jedem Fall halte ich es für gefährlich.

 

*Mit Markus Thielemann sprach Agnes Brunner, Lektorin bei C.H.Beck Literatur.

 

Der Autor

Markus Thielmann, geboren 1992, lebt in Hannover. Er studierte Geografie und Philosophie in Osnabrück, anschließend Literarisches Schreiben in Hildesheim. «Von Norden rollt ein Donner» ist sein zweiter Roman.
© Foto: Gregor Kieseritzky

Geplante Veranstaltungen:
Instagram-Live mit Florian Valerius auf dem Instagram-Profil von @literarischernerd, 21. Juli/ 19 Uhr