Gaston Dorren ist schon deswegen ein beneidenswerter Mensch, weil er 16 Sprachen spricht oder zumindest liest. In seinem neuen Buch nimmt er uns mit in die weite Ferne: „In 20 Sprachen um die Welt“ stellt die meistgesprochenen Sprachen des Planeten vor – wer sie spricht, kann sich mit Dreiviertel der Menschheit verständigen! Diese Sprachen, vom Vietnamesischen bis zum Chinesischen und Englischen, sind auch 20 verschiedene Arten, die Welt zu betrachten. Wir staunen über solche Vielfalt, über den sprachlichen Erfindungsreichtum der Menschheit und begreifen einmal mehr, dass wir fremde Kulturen nicht ohne ihre Sprachen kennenlernen können. Und selbst die deutsche Sprache (Platz 11) rückt uns Gaston Dorren mit seinem globalen Blick in ein neues Licht.

1. Was haben Sie im Studium fürs Leben gelernt?
Dass Ideale nur etwas taugen, wenn sie dem persönlichen Charakter angemessen sind. Ich wollte jahrelang Entwicklungshelfer werden, stellte dann aber in einem sechsmonatigen Praktikum in Peru fest, dass mir die praktische Intelligenz und die kulturelle Flexibilität dazu fehlten – schluchz. Daraufhin beschloss ich, ‚Schreiber‘ zu werden: Journalist, Texter, später auch Autor. Das passt mir wie angegossen.


2. Womit haben Sie Ihr erstes Geld verdient?
Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen, und in meinem ersten Ferienjob habe ich Erdbeeren gepflückt.


3. Mit wem würden Sie gern für einen Tag den Platz tauschen?
Mit Marleen, meiner Partnerin, und zwar um zwei Sachen zu erfahren. Erstens, wie es ist, eine Frau zu sein. Und zweitens, um unsere Beziehung mal aus ihrer Sicht zu erleben, wobei ich also mein Benehmen auf ihre Art und Weise empfinden würde. Letzteres bitte nicht länger als einen Tag.


4. Was nehmen Sie sich immer wieder vor?
Mehr ins Grüne zu gehen. Wo ich wohne, ist das nicht schwer. Aber die Anziehung von Arbeit und Hobbys ist stark, und die Stadt fasziniert mich eigentlich mehr. Doch ich weiß, die Natur tut einem besser.


5. Was ertragen Sie nur mit Humor?
Ich ertrage Sachen nicht mit Humor, sondern versuche (versuche!) es mit philosophischer Gelassenheit, egal ob es um laute Musik aus Autos oder um die menschliche Sterblichkeit geht. Humor ist für mich jedoch ein absolut unabdingbarer Bestandteil des Alltags. Ohne Lachen, Lieben und Lernen wird alles fad.


6. Ein großes „Beinahe“ in Ihrem Leben?
Als Zugreisender fahre ich unterdurchschnittlich gut Auto. Ich bin mir darum ziemlich sicher, dass ich schon schwere Beinahe-Unfälle verursacht habe, vor denen andere Verkehrsteilnehmer und -innen mich (und sich) durch ihre wachsame Reaktion auf meine Fehler behütet haben. (Übrigens vermute ich, dass das auch besseren Autofahrern und ‑innen öfter passiert, als sie vielleicht denken.) Ich weiß, die Frage zielt wohl eher darauf, mich an eine große Enttäuschung zu erinnern, an eine verpasste Chance. Aber solchen ‚Hätte-sein-können‘-Momenten hänge ich nicht nach. Das wäre seelische Verschwendung.


7. Der beste Ort der Welt?
Unser jetziges Westeuropa. Wir haben im Durchschnitt mehr Sicherheit, Freiheit und Reichtum mit mehr Zugang zu Kultur und Wissen als je zuvor und überall sonst. 2100 wird man zwei Namen für diese Periode haben: das ‚Goldene Zeitalter‘ und das ‚Verheerende Zeitalter‘. Hoffentlich bin ich viel zu pessimistisch.


8. Welche Künstler:innen beeindrucken Sie?
Obwohl ich gerne bildende Kunst und Theater ansehe, ist Musik meine Leidenschaft – ich habe mich sogar acht Jahre lang auf den (kleinen) niederländischen Bühnen als Liedermacher versucht, um schließlich feststellen zu müssen, dass mein Talent nicht ausreichte.
Ein paar Namen von Liedermachern und -innen, die Sie wohl kennen: Suzanne Vega, Herman van Veen, Reinhard Mey, Jacques Brel, Lhasa de Sela, Chico Buarque, Elvis Costello, Gerhard Schöne, Bodo Wartke. Und einige, die im deutschsprachigen Raum unbekannt sind: Maarten van Roozendaal, Theo Nijland, Alex Roeka, Brigitte Kaandorp, Jeroen van Merwijk. Und dann gibt es noch so viele andere musikalische Genres ... Aber ich sollte aufhören. (Nur die viel zu unbekannte englische Band XTC muss ich unbedingt noch reinschmuggeln.)


9. Welche Eigenschaften schätzen Sie an einem Menschen am meisten?
Ehrlichkeit zuallererst, gar keine Frage, denn ohne die ist jeder persönliche Kontakt Zeitverschwendung. Und Weisheit, was für mich bedeutet: eine gute Mischung aus Weltoffenheit, menschlichem Mitgefühl und rationalem Denken.


10. Ihr liebstes Smalltalk-Thema?
Sprache – was denn sonst? Ich rede gerne über alles Mögliche, was mir an Sprachen auffällt: Wörter, Aussprache, Mundart, Grammatik ... Allerdings gebe ich mich diesen Fachsimpeleien nur mit Leuten hin, die das Thema auch interessiert. Versuche ich jedenfalls.


11. Welcher Illusion geben Sie sich gerne hin?
Keiner. Bestimmt habe ich welche, wer weiß sogar viele. Aber so bald ich eine entlarve, versuche ich sie loszuwerden, denn auch mir selbst gegenüber will ich ehrlich sein. Nicht streng, aber ehrlich.


12. Welche Zeitungen, Magazine und Blogs lesen Sie?
Eine Mischung aus hauptsächlich niederländisch- und englischsprachigen. Zeitungen: vor allem „NRC“ und „The Guardian“. Zur Sprache: die niederländischen Medien sowie die Monatszeitschrift „Onze Taal“ (Unsere Sprache) und neerlandistiek.nl; auf Deutsch kann ich buurtaal.de empfehlen. Ansonsten höre ich bei den täglichen Arbeiten im Haushalt gerne Podcasts, nicht nur zur Sprache („Lexicon Valley“, „Subtitle“, „The Allusionist“), sondern alle möglichen, vor allem „Freakonomics“, „No Stupid Questions“, „99% Invisible“, „punktEU“ (WDR 5, ausgezeichnet!) und „Cautionary Tales“.


13. Ihre Lieblingsbuchhandlung?
Grundsätzlich besuche ich in jeder Stadt, in der ich ein paar Tage verbringe, eine oder mehrere Buchhandlungen, sogar wenn ich die Sprache vor Ort nicht verstehe. Manchmal finde ich in kleinen, mit Liebe zum Buch geführten Läden interessante Titel, die mir noch unbekannt waren. Aber mein wirklicher Favorit ist einfach die schönste Buchhandlung, die ich kenne: Dominicanen, die in einer ehemaligen Kirche in der Maastrichter Altstadt haust, also nur 25 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt.


14. Ihr Lieblingsmuseum?
Diese Frage ist ungefähr so schwer wie die Frage „Welches deiner Kinder liebst du am meisten?“ (nicht, dass ich Kinder hätte). Ich mag viele Museen. Zur Kunst. Zur Geschichte. Zu ausgefallenen Spezialthemen, wie Steuern, Bakelit oder eben Museen. Und natürlich zur Sprache, wie Mundolingua in Paris, das Wiener Esperantomuseum und das Epigraphische Museum in Rom; im hessischen ‚wortreich’ war ich leider noch nicht.
Meine eigenen Bücher habe ich schon öfter als ‚handliche Museen‘ umschrieben. Viele Aspekte der Linguistik lassen sich relativ schlecht veranschaulichen, dafür kann man in einem Buch prima darüber erzählen. Und statt sich die Füße platt und den Rücken weh zu stehen, können die Interessierten beim Lesen sitzen.


15. Welchen Satz haben Sie sich zuletzt aus einem Buch notiert?
In Übersetzung: „Ich denke an eine Sprache wie Dschingis Khan an ein Land: Sprache ist ein Territorium, das ich erobern will.“ Der Satz steht in der „Liebeserklärung an die niederländische Sprache“ der in Rumänien aufgewachsenen Autorin Mira Feticu. Der Wunsch, andere Sprachen nicht nur zu verstehen, sondern sie sich auch wirklich zu eigen zu machen, sich darin zu Hause zu fühlen, ist mir sehr vertraut. Dabei gehen Frau Feticu und ich mit den Muttersprachlern und -innen respektvoller um, als der mongolische Herrscher es mit seinen neuen Untertanen zu tun pflegte.


16. Welches Buch würde niemand in Ihrer Bibliothek erwarten?
Das städtische Theaterprogramm ... für die Saison 2017/18. Habe ich selber auch nicht mehr erwartet. Das kann weg, danke für den Hinweis.


17. Ein Buch, das Ihr Leben verändert hat?
Das ist tatsächlich ein deutschsprachiges: „Die Kunst, ohne Überfluss glücklich zu sein“, von Josef Kirschner. Ich habe es als Schüler gelesen, und ich zweifle, ob es mich so viele Jahre später noch besonders beeindrucken würde. Aber die Botschaft halte ich nach wie vor für richtig und wichtig.